Lukas, der erleuchtete Leser

Stundenbuch, Werkstatt Jean Bourdichon und Jean Poyer, Tours, um 1500, Tinte, Pigmente und Blattgold auf Pergament, Basel, Universitätsbibliothek, UBH CL 124, ff. 16v-17r.

Von Margherita De Fregias, Wanja Gerber, Marlene Thurm und Anna Tinbergen

Ein Bild des Evangelisten Lukas, begleitet von seinem Symbol, dem Stier, leitet die Lektion aus seinem Evangelium ein. Das Lukasevangelium war ein fester Bestandteil der Stundenbücher. In der Miniatur erscheint Lukas nicht als inspirierter Schriftsteller, sondern als konzentrierter Leser. Auffallend bedient sich der greise Evangelist dabei einer selten dargestellten technologischen Erfindung—einer Brille.

Bis ins 16. Jahrhundert waren Brillenträger in der Kunst eine Seltenheit. Umso bemerkenswerter ist diese Miniatur. Der Künstler wusste offenbar, wie Brillen aussahen und wie sie benutzt wurden. Vielleicht brauchte er selbst eine Brille als Hilfsmittel beim Malen? Genau dies sehen wir im Selbstbildnis des Buchmalers Simon Bening: der Künstler unterbricht seine Arbeit an einer Miniatur und schaut mit einer Brille in der Hand aus dem Bild heraus.

Links: Simon Bening, Selbstporträt, 1558. The Metropolitan Museum of Art, New York. Robert Lehmann Collection 1975. Inv. Nr. 1975.1.2487.

Im ausgestellten Stundenbuch hält Lukas seine Brille vor die Augen und ist in seine Lektüre vertieft. Es bleibt offen, warum der Künstler den Evangelisten mit Brille, welche im 15. Jahrhundert Verbreitung fand, dargestellt hat. Klar aber ist, dass Lukas‘ Vertiefung in sein von goldenen Lichtstrahlen beleuchtetes Buch inspirieren soll.

Vorschau Phase II (ab 17. Juni 2025)

Das strahlende, fleischgewordene Wort

UBH CL 124, ff. 17v-18r.

Eine Darstellung der Verkündigung an Maria eröffnet gewöhnlich das Marienoffizium, fixer Bestandteil eines jeden Stundenbuchs. In dieser exquisiten Miniatur beschreiben feine, glitzernde goldene Linien die Herabkunft der Heilig-Geist-Taube auf die betende Jungfrau. Das offene Buch auf ihrem Schoss spielt subtil auf Christus an, der nach dem Johannesevangelium das verbum incarnatum („fleischgewordene Wort“) ist.

Bei genauerer Betrachtung scheinen zwischen den Knien von Gabriel und Maria Spuren eines Textfragments hindurch. Der Text entpuppt sich als die ersten Worte des Marienoffiziums. Offenbar übermalte der Künstler einen bereits vorhandenen Text und integrierte dieselben Worte dann in den unteren Rand des gemalten Bildrahmens. Auf dieser Seite gewann die Malerei gegenüber der Schrift den Vorzug.

Warum wurde die Entscheidung getroffen, diese Seite radikal zu überarbeiten? Faktoren wie Budget- und Konzeptänderungen oder Eigentümerwechsel können eine Rolle gespielt haben. Tatsächlich wurden Stundenbücher im Laufe der Zeit oft verändert und personalisiert. Neue Gebete, Miniaturen, eingetragene Familieninformationen und sogar Pilgerabzeichen und Holzschnitte wurden häufig in Gebetbücher eingefügt. In dieser Handschrift zeigen Klebereste auf der linken Seite an, wo einmal etwas in die Handschrift eingefügt wurde.