Beten mit der heiligen Maria

Stundenbuch nach dem Usus von Angers, wohl Angers, 1460-1470, Tinte, Pigmente und Blattgold auf Pergament, Basel, Universitätsbibliothek, UBH CL 6, ff. 40v-41r.

Von Damiano Barlovic und Pearlie Frisch

Die Miniatur zeigt das Pfingstwunder in einer gotischen Kapelle. Die schwebende Taube des Heiligen Geistes erleuchtet Maria und die erstaunten Apostel mit glühenden Flammen. Bemerkenswert ist das kostbares Buch mit grünem Textilumschlag in der Hand Mariens. Wer mit dieser Handschrift das Offizium des Heiligen Geistes betet, spiegelt so die Gestalt der Jungfrau wider.

Maria ist in diesem Gemälde zweifellos die Hauptfigur des Pfingstwunders. Als frommes Vorbild für die Gläubigen um sie herum, aber auch für die Leser:innen dieses Stundenbuchs, ist alles auf sie ausgerichtet. Sie ist nicht nur grösser als die anderen Figuren, ihr Gesicht befindet sich in der Bildmitte und das intensive Blau ihres Umhangs zieht die Blicke auf sich. Das blaue Kreuzgewölbe und der grüne Mantel eines Apostels in der unteren rechten Ecke rahmen die Szene ein. Dieser visuelle Fokus auf die Figur Marias soll den Betrachtenden dazu anregen, sich in andächtige Stimmung für ein inniges Gebet zu versetzen. Darüber hinaus ist die heilige Szene von feinem Rankenwerk umgeben, dessen glänzende goldene Blätter auf subtile Weise die Flammenzungen des Pfingstwunders wiederholen.

Vorschau Phase II (ab 17. Juni 2025)

Generationen treffen aufeinander

UBH CL 6, ff. 29v-30r.

Maria, in Blau gekleidet, hält die Hand ihrer Cousine Elisabeth, die mit einem Kopftuch dargestellt ist. Beide Frauen erwarten ein Kind: Die junge Maria Christus, den Sohn Gottes, und die ältere Elisabeth Johannes den Täufer. Hinter ihnen dominiert ein gotischer Bau die Landschaft und versetzt so die heilige Geschichte in die zeitgenössische Umgebung der mittelalterlichen Betrachtenden.

Obwohl die Herkunft dieser Handschrift nicht eindeutig geklärt ist, weist die gotische Architektur in der Miniatur auf eine Entstehung nördlich der Alpen im 15. Jahrhundert hin. Die in Jerusalem angesiedelte Szene wurde an einen Ort und in eine Zeit versetzt, die den ersten Besitzern des Stundenbuchs vertraut waren. Damit wurden die Geschichten der Bibel in die mittelalterliche Gegenwart der betenden Person übertragen. Üblicherweise stellten mittelalterliche Künstler:innen vorbildliche Figuren in stillen Posen dar. Es galt als würdevoll, keine extremen Emotionen zu zeigen, weshalb die Gesichter der Heiligen in der mittelalterlichen Kunst auf uns heute oftmals „ausdruckslos“ wirken können. Dennoch vermittelt die sanfte Berührung der Hände im Bild die spürbare Intimität zwischen den heiligen Frauen. Maria hebt ihre andere Hand in einer Geste des Sprechens. Das Bild lässt seine:n Betrachter:in am innigen Austausch der heiligen Frauen teilhaben.